e07.8 Protokoll zu 16.03.23

Zeit: 13:40 bis 15:20 Uhr

  1. Vokabeln:
    1. Ich bat noch einmal darum, beim Substantiv immer den Artikel und den vollständigen Genitiv mitzulernen, beim Adjektiv in ähnlicher Weise das Femininum und Neutrum.
      Denn durch diese mitgelernten Formen wird meistens erst deutlich, zu welchem Deklinationsparadigma das Wort gehört.
    2. Außerden hilft es viel, wenn Du die Vokabeln in beide Richtungen lernst, also auch vom Deutschen ins Griechische. So lernt man die Wörter besser voneinander zu unterscheiden.
  2. Zur 3. Deklination = konsonantische Dekl. (nach der 1. Dekl. = a-Dekl. und der 2. Dekl. = o-Dekl.)
    Die Stämme der 3. Dekl. gehen nicht auf -a- oder -o- aus, sondern auf einen Konsonanten.
    Welcher Konsonant das ist, erkennt man am besten am Genitiv,
    der im Prinzip immer auf -ος hinter dem eigentlichen Konsonanten des Stammaulauts endet.
    Der Nom. endet entweder auf -ς, und das -ς verändert den Konsonanten im Stammauslaut,
    oder der Nom. wird durch Dehnung des letzten Stammvokals gebildet,
    so dass man auch hier den ursprünglichen Stamm nicht genau erkennen kann. Da hilft der Genitiv:
    Wir lernen ὁ παῖς, τοῦ παιδ-ός und sehen, dass der Stamm παιδ- heißt.
    Wir lernen ὁ γείτων, τοῦ γείτον-ος und sehen, dass der Stamm γειτον- heißt.
    Wir lernen ὁ γέρων, τοῦ γέροντ-ος und sehen, dass der Stamm γεροντ- heißt.
    Wir lernen ἡ γυνή, τῆς γυναικ-ός und sehen, dass der Stamm γυναικ- heißt.
    Und die übrigen Kasus behalten vor ihren Endungen den Stamm, der im Gen. sichtbar wird.
    Nur im Dat.Pl., der ja auf -σι(ν) endet, verändert das σ  den Stammauslaut wieder.
  3. Zur Konjugation der Verba contracta:

Wir lernten mit ἀδικέω und ποιέω die ersten Verba contracta auf -ε- kennen:

    1. In den Vokabeln werden die Verba contracta in unkontrahierter Form gelernt. So stehen sie auch in den Lexika, also „ποιέω machen“ und „ἀδικέω Unrecht tun“.
      In den Texten erscheinen sie dann kontrahiert als „ποιῶ ich mache“ und „ἀδικῶ ich tue Unrecht“.
      Warum ist das so?
      Es gibt auch Verba contractα auf  -α- und auf -ο-, deren Personalendung in der 1.Sg. ebenfalls zu -ῶ-  kontrahiert wird; z.B. „ὁράω sehen“, im Text „ὁρῶ ich sehe“
      und „ἐλευθερόω befreien“, im Text „ἐλευθερῶ ich befreie“. Allerdings werden sie in den weiteren Personalendungen anders als die auf -ε- kontrahiert. Wir lernen also die unkontrahierte Form, damit wir wissen, ob es sich ein Verb der Kontraktion auf -ε-, -α- oder -ο- handelt.
    2. Die Kontraktionsregeln für die Verba auf -ε- sind ganz einfach: Folgt ein langer Vokal oder ein Dipthong, wird das ε von diesen „verschluckt“, folgt aber ein kurzes ε bilden sie zusammen ein ει, und folgt ein kurzes ο, wird aus beidem ein ου. So ergibt sich:
      ποιῶ, ποιεῖς, ποιεῖ, ποιοῦμεν, ποιεῖτε, ποιοῦσι(ν).
      Der Akzent steht immer auf der Kontraktionssilbe.
  1. Übersetzung

κἀκεῖνος ἀδικεῖν μὲν ὁμολογεῖ,                                Und jener stimmt [zwar] zu, Unrecht zu tun,

ἱκετεύει δὲ μὴ ἀποκτείνειν                                        er fleht aber, <ihn> nicht zu töten,

ἀλλ' ἀργύριον λαμβάνειν.                                         sondern Geld anzumehmen.

ἐγὼ δὲ λέγω, ὅτι οὐκ ἐγώ σε ἀποκτείνω,                   Ich aber sage: „Nicht ich töte dich,

ἀλλ' ὁ τῆς πόλεως νόμος,                                           sondern das Gesetz der Stadt.

ὃν σὺ παραβαίνεις                                                     das du übertrittst

καὶ περὶ ἐλάττονος τῶν ἡδονῶν ποιεῖς,                    und geringer achtest als <deine> Gelüste;

καὶ μᾶλλον τoῦτο τὸ ἁμάρτημα ἐξαμαρτάνεις        und lieber begehst du diesen Fehler

εἰς τὴν γυναῖκα τὴν ἐμὴν καὶ εἰς τοὺς παῖδας τοὺς ἐμοὺς an meiner Frau und meinen Kindern

ἢ τοῖς νόμοις ἀκολουθεῖν                                          als den Gesetzen zu gehorchen

καὶ κόσμιος εἶναι.                                                      und anständig zu sein.

οὕτως ἐκεῖνος τούτων τυγχάνει                                 So erhielt jener (die Dinge) das,

ἃ οἱ νόμοι κελεύουσι,                                                (welche/die) was die Gesetze befehlen;

οὐδ’ ἁρπάζω αὐτὸν ἐκ τῆς ὁδοῦ,                               und nicht (raube) zerre ich ihn von der Straße,

οὐδ᾽ ἐπὶ τὴν ἑστίαν καταφεύγει ,                              und nicht flieht er an den Herd,

ὥσπερ οὗτοι λέγουσι·                                                 wie diese (die Ankläger) ja sagen.

πῶς γὰρ ἄν,                                                                 Wie denn wohl <kann er das tun>,

ὅς ἐν τῷ δωματίῳ πλήγῃ                                            der im Zimmer durch den Schlag

καταπίπτει εὐθύς,                                                      sofort niederstürzt;

περιστρέφω δ᾽ αὐτοῦ τὰς χεῖρας,                              ich aber biege seine Arme zurück.

ἔνδον δὲ ἄνθρωποί εἰσιν τοσοῦτοι,                          und drinnen sind so viele Leute,

οὓς διαφεύγειν οὐκ δυνατός ἐστιν,                           denen zu entkommen er nicht in der Lage ist,

ὃς οὔτε σίδηρον οὔτε ξύλον                                      der weder ein Eisen noch einen Knüppel

οὔτε ἄλλο οὐδὲν ἔχει,                                                noch etwas anderes hat,

ᾧ τοὺς ἄλλους ἀμύνει.                                               womit er die anderen abwehren kann.

 

Anmerkungen dazu:

  1. κἀκεῖνος: Zusammenziehung zweier Wörter (Krasis), um das Aufeinanderstoßen von Vokalen in der Fuge zwischen zwei Wörtern (den Hiat) zu vermeiden. Zur Verdeutlichung steht auf der zusammengzogenen Stelle ein Haken, der aussieht wie ein Spiritus lenis. Er heißt Koronís.
  2. ἀλλ‘ ἀργύριον oder οὐδ᾽ ἐπὶ …: Aus dem gleichen Grund werden auch kurze Vokale weggelassen (elidiert) und dies durch einen Apostroph gekennzeichnet.
  3. ἀποκτείνειν, λαμβάνειν, ἀκολουθεῖν mit dem auslautenden -ν sind
     Infinitive des Präsens im Aktiv (Inf.Pr.A), ebenfalls das unregelmäßige εἶναι.
  4. Der Text strotzt von Relativpronomina (bezügliche Fürwörter), die Relativsätze einleiten:
    Das Relativpronomen bezieht sich auf ein Nomen, das vorher im Satz vorkommt, und hat das gleiche Genus (Geschlecht) und den gleichen Numerus (Einzahl/Mehrzahl) wie sein Bezugswort. Sein Kasus wird aber vom Relativsatz bestimmt:
    ὁ τῆς πόλεως νόμος (Sg.m.), ὃν Akk.Sg.m.) σὺ παραβαίνεις.
    Hier die Formen im Vergleich mit dem Artikel:
     

 

Artikel

 

Relativpronomen

 

 

der, die, das

 

der, die, das
welcher, welche/s

Sg. N.

τό

 

ὅς

Sg. G.

τοῦ

τῆς

τοῦ

 

οὗ

ἧς

οὗ

Sg. D.

τῷ

τῇ

τῷ

 

Sg. A.

τόν

τήν

τό

 

ὅν

ἥν

Pl. N.

οἱ

αἱ

τά

 

οἵ

αἵ

Pl. G.

τῶν

τῶν

τῶν

 

ὧν

ὧν

ὧν

Pl. D.

τοῖς

ταῖς

τοῖς

 

οἷς

αἷς

οἷς

Pl. A.

τούς

τάς

τά

 

οὕς

ἅς

         
  1. Die Griehen unterschieden die Verneinung von Tatsachen mit οὐ/ οὐκ/ οὐχ von der Verneinung von Wünschen oder Begehren und auch von Bedingungen durch μή, weil die ja nur erhofft oder gedacht sind.
  2. Wir haben beim Übersetzen mehrfach danach suchen müssen, ob und an welcher Stelle die eine oder andere Vokabel schon einmal vorkam. Ich habe Dir daher unter e07.9 alle bisherigen 240 Vokabeln noch einmal in alphabetischer Reihenfolge zusammengestellt.
  3. Wir sprachen über die Gesetze, die in diesem Mordprozess gegen den Bauern eine Rolle spielten:
    Es war erlaubt, einen Ehebrecher auf frischer Tat zu erschlagen.
    Es war nicht erlaubt, ihm später irgendwo (auf der Straße) aufzulauern.
    Und sowieso schützte das Asylrecht den Flüchtling am Herd wie auch an jedem Altar (was übrigens auch heute noch bei uns als Kirchenasyl gilt).
    Der Herd des Hauses, in dem das dem Menschen hilfreiche, aber gefährliche Feuer brennt, war - wie übrigens auch die Ehe - der Hera heilig, also der Frau des olympischen Zeus.
    Die Verwandten des erschlagenen Ehebrechers warfen dem Ehemann also vor, er habe den Ehebrecher entweder auf der Straße gekidnappt oder gar vom Herd, wohin er sich noch habe retten können, wegzogen und dann ermordet. Der Angeklagte erzählt nun aber die ganze Geschichte, die wir gelesen haben, also die Beteiligung der Dienerin, das Zusammenrufen der Nachbarn, ihr Eindringen ins Schlafzimmer und was die einen und was die anderen gesehen haben, den Hinweis auf die Gesetze der Stadt sowie den Todschlag des Ehemanns an Ort und Stelle – und er ezählt dies alles so genau, weil er auch mithilfe der Zeugen darlegen kann, dass er im Rahmen der geltenden Gesetze rechtmäßig gehandelt habe.

 

Vorbereitung der nächsten Sitzung:

  • Dieses Protokoll gründlich durchsehen und verstehen. Andernfalls nachfragen!
  • Lesen: Den Text e07_ἀδικεῖ noch einmal laut lesen.
  • Übersetzen: Dabei den Text verstehen, d.h. übersetzen können.
  • Formen: diejenigen in e07.6 möglichst gut aufsagen können.
  • Und nur wenn Du noch Lust und Zeit dafür hast, die kleine Akzentübung erledigen.


Und nun sind wir für Sisyphos und Tantalos gerüstet. Danach sind dann die Giganten dran.